Es geschah wahrscheinlich in den Weiten afrikanischer Savannen: die Vorfahren des Menschen richteten sich auf. So konnte man nicht nur Feinde schneller erspähen; auch bedeutete das Freiwerden der Vorderläufe, dass man mit den Händen nun die Herausforderungen des Lebens anpacken zu können. Dieser evolutionäre Fortschritt war entscheidend für jene Entwicklung, an deren vorläufigem evolutionären Höhepunkt heute die menschliche Spezies vor der Aufgabe steht, die lang errungene Aufrichtigkeit nicht selbstverschuldet zu verlieren.
Mittlerweile hat der Mensch die Natur bezwungen und kultiviert. Nun denkt er, zivilisiert zu sein. Dass das eine große Selbsttäuschung ist, zeigen nicht nur die verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts. Auch die Gegenwart ist von eine todbringenden Chaos von Kriegen gekennzeichnet: Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der wohl nur durch großimperiale Fantasien eines menschenverachtenden Diktators entspringt, oder der nach einem menschenverachtenden, von sadistischer Brutalität kaum zu überbietenden Angriff der Hamas auf Menschen im Süden Israels neu entflammte Krieg in Gaza oder den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien oder die vielen anderen todbringenden Konflikte, die nie dem Leben dienen. Auf allen Seiten sterben Menschen einen unverdienten Tod, weil Diener einer Kultur des Todes ihre eigene Ideologie selbstherrlich zur alleinigen Norm erheben.
Weit entfernt von diesen Konflikten geben sich viele, die Kriege nur in zweidimensional aufbereiteter medialer Vermittlung erfahren, der eigenen Empörung hin. Oft wird zu großen Worten gegriffen. Von Genozid ist dann die Rede oder von Kriegstreiberei, wenn es um die Frage geht, ob man den Angegriffenen beistehen muss. Worte, die in der Regel zu groß im Munde jener sind, die die todbringende Realität vor Ort gar nicht trifft. Es sind monströse Worte, die gratismutig in dem Bewusstsein hinausposaunt werden, dass man nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Es sind Worte wie Schutzwälle, hinter denen man sich ohne Konsequenzen wegducken kann. Mögen doch bitte andere die Verantwortung übernehmen. Möge man davor bewahrt werden, selbst auch nur in irgendeiner Weise in die Konflikte hineingezogen zu werden – es könnte ja bedeuten, dass man echte Haltung zeigen muss, die über große Worte hinausgeht. Man kann doch schließlich nicht über Wasser gehen. Was glauben Sie denn?
Das dachte wohl auch jener Mann in der Gefolgschaft Jesu, der um große Worte nicht verlegen war, aber schnell kleinlaut wurde, wenn es darum ging, zur Tat zu schreiten. Beispielhaft ist jene Geschichte vom auf dem See wandelnden Jesus, die die Evangelisten Matthäus, Markus und Johannes erzählen. Sicher kann man diskutieren, ob die erzählte Begebenheit so tatsächlich geschehen sein kann. War der See zugefroren? Konnte Jesus wirklich über das Wasser laufen? Für die Quintessenz der Erzählung, die alleine Matthäus berichtet, ist das letztlich gleichgültig. Matthäus erzählt nämlich, dass auch Petrus mit verbaler Verve fordert, auch auf dem Wasser laufen zu können. Ob er damit gerechnet hat, dass Jesus sagt:
„Komm!“ (Mt 14,29)?
Das Unterwartete geschieht: Petrus kann auf dem Wasser laufen – wie Jesus! Und dann bekommt er Angst, geht unter und fängt an zu schreien:
„Herr rette mich!“ (Mt 14,30).
Der rettet tatsächlich, tadelt aber sogleich:
„Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Mt 14,31)
Petrus hatte wohl Angst vor der eigenen Courage. Das ist sein Problem. Er lief doch schon auf dem Wasser – verlor dann aber die Haltung, knickte ein und versank.
Unsere hominiden Vorfahren waren da schon einmal weiter. Sie probten den aufrechten Gang, um die Gefahr zu erkennen und die Herausforderung zu anzupacken. Wer vorschnell einknickt, hat die Haltung längst verloren. Da helfen auch zu große Worte nichts mehr. Füchtet euch nicht! Bleibt aufrichtig! Die Evolution hat es so gewollt!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 8. März 2024.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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